Neuberg – Vor dreieinhalb Jahren sagten 80 Prozent der Neuberger „Nein“ zur Fusion mit Erlensee. Nun könnte die Grundsteuer B in der Gemeinde auf 1000 Punkte angehoben werden. Hätte die Fusion etwas an der Entwicklung geändert? Eine Bestandsaufnahme.

An ihrem Wunsch eigenständig zu bleiben ließen die Neuberger im November 2019 keinen Zweifel. Nach teils sehr emotional geführten Diskussionen entschieden sich im Rahmen eines Bürgerentscheids 80 Prozent der Bürger gegen eine Fusion mit der Nachbarstadt Erlensee, die nach Plänen der Befürworter beide Kommunen für die Zukunft handlungsfähiger machen sollte.

Nein sagten freilich auch die Erlenseer, doch war die Abneigung dort nicht so vehement wie bei dem kleineren der beiden Nachbarn. Dreieinhalb Jahre später hat das Neuberger Gemeindeparlament gerade eine Erhöhung der Grundsteuer B auf den Weg gebracht, die es in sich hat. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, liegt der Hebesatz in zwei Jahren bei 1000 Prozentpunkten. Damit wäre Neuberg einsame Spitze im Main-Kinzig-Kreis. Für die Bürger hat das schmerzhafte Folgen: Für manche bedeutet dies eine Verdoppelung ihrer Abgaben. Einige stellen sich jetzt die Frage: Wäre es anders gekommen, hätten die Neuberger und freilich auch die Erlenseer das Fusionsangebot angenommen?

Vielleicht surft Neuberg vor der großen Welle

Für Erik Schmidtmann, Autor der Machbarkeitsstudie, die damals von der Gemeinde Neuberg sowie der Stadt Erlensee in Auftrag gegeben worden war, sind Prognosen über die Entwicklung der Grundsteuer B generell schwierig. Niemand wisse, wie sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland entwickelten: „Möglich, dass Neuberg gerade vor der großen Welle surft und alle anderen Kommunen bei der Grundsteuer B demnächst auch nachziehen müssen“, sagt er.

Außer Frage steht für ihn allerdings, dass die Bürger in Neuberg gerade einen Preis für ihre Eigenständigkeit zahlen. „Es ist eigentlich genau das eingetreten, was wir prognostiziert haben“, meint der Experte. Die Gemeinde Neuberg habe schon damals Probleme gehabt, einen ausgeglichenen Haushalt zu präsentieren. Und das in Zeiten, als die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen noch sehr gut gewesen seien. Deshalb habe der Vorschlag damals gelautet: Aus einer Position der Stärke heraus die Weichen für die Zukunft zu stellen. Dass die Gemeinde nun in Zeiten, die von hohen Energiepreisen, einer hohen Inflation und einer wirtschaftlichen Rezession geprägt seien, in die Bredouille gerate, sei abzusehen gewesen. „Für Kommunen bleibt da nur eine Stellschraube, an der sie drehen können: Das ist die Grundsteuer B“, sagt Schmidtmann.

An der strategischen Ausrichtung habe sich in Neuberg seitdem nichts geändert, meint der Experte, und das sei auch so zu erwarten gewesen, weil kleine Kommunen generell Schwierigkeiten hätten, gestaltungsfähig zu bleiben. Um aus eigenen Mitteln Gemeindeentwicklung zu betreiben, fehle es an finanzieller Kraft. Schmidtmann ist sich sicher: Die Einsparpotenziale einer Fusion mit Erlensee wären größer gewesen als die Summe, die jetzt durch die Erhöhung der Grundsteuer B erwirtschaftet werden müsse.

Die Gemeinde Neuberg geht nach aktuellem Stand davon aus, dass eine Erhöhung der Grundsteuer B um 150 Punkte wie sie im ersten Schritt vorgesehen ist, rund 300 000 Euro mehr jährlich in den städtischen Haushalt spülen wird. Laut Beschluss der Gemeindevertretung wird es die erste Erhöhung um 150 Punkte im bereits laufenden Haushaltsjahr geben, die nächste ist für 2024 vorgesehen. Und die dritte kommt dann voraussichtlich 2025 – auch in 150er-Schritten.

Bessere Stellung im Kommunalen Finanzausgleich

Berechnungen, was die Fusion speziell für Neuberg gebracht hätte, sind nicht einfach, weil die Gemeinde im Fall der Fusion in einer größeren Kommune aufgegangen wäre. Doch Kalkulationen für die letztlich nicht zustande gekommene neue Großkommune gibt es durchaus und waren auch Teil der Machbarkeitsstudie. Stefan Erb, Bürgermeister von Erlensee und mit seiner damaligen Neuberger Amtskollegin Iris Schröder (beide SPD) die treibende Kraft hinter den Fusionsplänen, beziffert das möglich gewesene Einsparpotenzial auf mindestens 1,5 Millionen Euro für „Neusee“ oder „Erlenberg“ (zum Vorschlag eines gemeinsamen Namens ist es nicht mehr gekommen). Eingerechnet sind dabei Landeshilfen, eine bessere Stellung im Kommunalen Finanzausgleich und Synergieeffekte.

Das Land Hessen, das die Zusammenführung von kleinen zu großen Verwaltungseinheiten befürwortet, lockte damals mit finanziellen Anreizen. Zunächst bot man der neuen Kommune an, 6,9 Millionen Euro der Altschulden zu übernehmen. Später erhöhte man das Angebot sogar auf 11 Millionen, weil der Topf für kommunale Fusionen gut gefüllt war. Daraus hätte sich laut Berechnungen von Erb allein eine Einsparung von rund 700 000 Euro pro Jahr ergeben, weil die Zinslast gesunken wäre. Auch hätte sich die höhere Einwohnerzahl für die neue Kommune bezahlt gemacht. Denn durch die sogenannte Einwohnerveredelung hätte die neue Verwaltungseinheit einen größeren Anteil aus dem Kommunalen Finanzausgleich bekommen. Plus einer weiteren halben Millionen Euro aus Synergieeffekten hätte das jährliche Einsparpotenzial laut Erb bei „mindestens 1,5 Millionen Euro“ gelegen, was sich seiner Meinung nach auch in der Grundsteuer widergespiegelt hätte. In Erlensee wurde die Grundsteuer B ebenfalls im vergangenen Jahr erhöht, dort liegt sie derzeit bei 675 Punkten.

Feuerwehrgerätehaus Teil der Fusionspläne

Bei den Fusionsplänen wurde auch bereits über ein neues gemeinsames Feuerwehrgerätehaus nachgedacht, das in Neuberg schmerzlich vermisst wird. Die Planungen für ein Gebäude sind in der Gemeinde bekanntlich aufgrund der finanziellen Lage zunächst einmal auf 2025 verschoben worden, obwohl die beiden bestehenden Gerätehäuser in den Ortsteilen Ravolzhausen und Rüdigheim beide nicht mehr den vom Land Hessen geforderten Sicherheitsstandards entsprechen und abgängig sind. Kalkuliert wird für den Neubau eines gemeinsamen Gebäudes derzeit mit einer Summe von mindestens sechs Millionen Euro.

Im Falle der Fusion hätte ein Feuerwehrgerätehaus an der heutigen Gemeindegrenze von Neuberg und Erlensee gebaut werden sollen, von wo aus man innerhalb der gesetzlichen Hilfsfrist von zehn Minuten alle Ecken der Gemeinde hätte erreichen können. Dann hätte Erlensee seine Ertüchtigung des Gerätehauses in Langendiebach nicht vornehmen müssen. Ersparnis laut Erb: 1,5 Millionen Euro.

Seine damalige Amtskollegin Iris Schröder, mittlerweile im Ruhestand, will sich heute eigentlich zu diesem Thema nicht mehr äußern, Sie sei jedoch mehr denn je davon überzeugt, dass eine Fusion der beiden Kommunen der richtige Weg gewesen wäre.

Gegenwind aus den Reihen der Initiative Neuberger für Neuberg

Dass sie letztlich nicht zustande kam, lag unter anderem am Gegenwind, für den nicht unmaßgeblich eine Bürgerbewegung namens „Neuberger für Neuberg“ sorgte, in der sich die Gegner der Fusion sammelten, Bürger als auch Vertreter politischer Parteien. Einer der Sprecher der Initiative, die sich mittlerweile aufgelöst hat, war der CDU-Abgeordnete Andreas Weiß. Trotz der finanziellen Situation der Gemeinde hält Weiß den Entschluss, eigenständig zu bleiben, nach wie vor für richtig: „Es war ja auch keine rein fiskalische Entscheidung“, sagt er. Es sei auch eine Frage der Identifikation gewesen. Man habe sich damals für die Eigenständigkeit stark gemacht, weil man der Überzeugung war, dass Entscheidungen über Neuberg auch ortsnah getroffen werden sollten und der Gestaltungsspielraum insgesamt größer sei. Gleichzeitig räumt Weiß ein, dass sich seit 2019 in der Gemeinde nicht viel getan habe und strukturelle Veränderungen wie sie auch in der Machbarkeitsstudie formuliert waren, nicht umgesetzt worden seien.

Mittlerweile hat sich die politische Führung in der Gemeinde geändert. Und für Neubergs neuen Bürgermeister Jörn Schachtner (SPD) stellt sich die Frage „was wäre passiert, wenn …“ nicht mehr. „80 Prozent der Neuberger waren dagegen. Das ist mehr als deutlich.“ Und damit sei die Diskussion, die nicht weiterhelfe, eigentlich auch beendet, sagt er. Einen Weg zurück werde es nicht geben. (Von Holger Weber-stoppacher)

Quelle: Hanauer Anzeiger (2023):„Neuberger zahlen für ihre Eigenständigkeit“ (hanauer.de) (Stand: 13.07.2023)

Über GE/CON

Die GE/CON GmbH ist ein Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen. Als Strategie- und Managementberater für Public Management blicken wir mittlerweile auf mehr als 20 erfolgreiche Jahre voller Herausforderungen und Erfahrungen zurück. Aus dem Zentrum der Metropolregion Rhein-Neckar heraus, setzt sich die GE/CON Kommunalberatung für die Entwicklung von Zukunftsmodellen kommunaler Betriebe und Verwaltungen in ganz Deutschland ein. Im Mittelpunkt der Tätigkeit stehen grundsätzlich die Erhaltung der Handlungsfähigkeit kommunaler Organisationen. Der Beratungsansatz fokussiert sich daher auf die Modernisierung von Prozess- und Organisationslandschaften kommunaler Leistungen, der Konzeption und Realisierung von interkommunaler Zusammenarbeit in kommunalen Betrieben und Kernverwaltungen, sowie dem Aufbau neuer Organisationseinheiten nach Re-Kommunalisierung, PPP, interkommunale Zusammenarbeit und deren kaufmännische Begleitung.

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